Jiří Čepelák

 

Die tschechisch-deutschen Beziehungen
in Böhmen und Mähren bis zum Ausgang
des 18. Jahrhunderts im Überblick

 

Vortrag auf dem tschechisch-deutschen Jugendseminar "Die Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien während der Toleranzzeit (1781-1784)" vom 15. bis zum 22. Juli 2005 in Velká Lhota

Die Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen in den böhmischen Ländern sind keine simple Angelegenheit, denn das geschichtliche Verständnis ihres Ursprungs und ihrer Wechselwirkungen wird gewöhnlich zum Gegenstand völkischer Aufwallungen und Fiktionen. Wollen wir uns mit den Beziehungen zwischen diesen beiden Völkern beschäftigen, so müssen wir zunächst den Begriff des Volkes bestimmen. In den böhmischen Ländern wurde die Volkzugehörigkeit einerseits durch die Muttersprache, andererseits rechtlich bestimmt. Unter rechtlichem Gesichtspunkt war jeder Bewohner der böhmischen Länder ein Böhme, also ein Landsmann, aber nicht jeder war Tscheche, in dem Sinne, daß er die tschechische Sprache beherrschte. Die ersten schriftlichen Belege über die Unterscheidung der Begriffe "böhmisch" und "tschechisch" stammen vom Ende des 13. Jahrhunderts.

Der zweite wichtige Faktor, der die Geschichte und die ethnische Zusammensetzung der böhmischen Länder beeinflußte, sind die natürlichen geographischen Gegebenheiten. Die bewaldeten nicht sehr hohen Gebirgszüge bildeten schon in ältesten Zeiten eine natürliche Grenze, die eine Hochebene und ein mäßig hohes Hügelland umschloß, durchbrochen nur von den fruchtbaren Flußtälern von Elbe und Eger. Ein zusammenhängendes Flußnetz bildete die Grundlage für die Zentralisierung der Verkehrswege und eine zentrale Verwaltung. Grundsätzlich andere Voraussetzungen hatte das benachbarte Mähren, das sich mit dem breiten Flußbett der Morava im Süden zur Donau und zur pannonischen Tiefebene öffnete. Von Böhmen durch das nicht sehr hohe böhmisch-mährische Gebirgsland getrennt, war es im Osten und im Norden von Bergzügen umgeben, die jedoch im Nordosten von der sogenannten mährischen Pforte unterbrochen wurden. Schon seit den Zeiten der antiken Bernsteinstraße waren hier die Verkehrsverbindungen in Nord-Süd-Richtung bestimmend. Beide Landesteile waren waldreich und mit allen wichtigen Rohstoffen gesegnet - außer Salz, das importiert werden mußte.

Seit der Zeitenwende wurden die böhmischen Länder von den germanischen Stämmen der Markomannen, Hermunduren, Quaden und Langobarden besiedelt. Die Mehrzahl ihrer Angehörigen verließ im Laufe des 4. und 5. Jahrhunderts das Gebiet in Richtung Westen und Süden, während allmählich slawische Siedler nachrückten. Die Slawen kamen jedoch nicht in ein leeres Land, sondern trafen auf die Reste der Germanen, die sie in der Folgezeit assimilierten. Diese Tatsache belegen vor allem Fluß- und Bergnamen keltischen und germanischen Ursprungs, die die Neuankömmlinge von den bisherigen Einwohnern übernahmen, und in jüngster Zeit sind auch archäologische Untersuchungen über das Nebeneinander von germanischen und slawischen Siedlungen erschienen. Die Grenze der slawischen Besiedlung verschob sich bis tief in das Gebiet des heutigen Deutschland hinein. Es stellt sich die Frage, warum die Slawen kein einheitliches Reich gründeten. Ihre unzusammenhängenden Territorien kamen später in Kontakt mit einer entwickelten antiken Kultur, und waren zudem ständig von Wandervölkern aus den östlichen Steppen bedroht. Erst die gemeinsame Verteidigung gegen das Reitervolk der Awaren bewirkte im 7. Jahrhundert die vorübergehende Einigung der slawischen Stämme unter dem fränkischen Kaufmann Sámo.

Die Bedrohung durch die Awaren nahm um das Jahr 800 stark ab, als der fränkische Herrscher Karl der Große das Awarenreich zerschlug und auch die slawischen Stämme tributpflichtig machte. Sein Einfluß war zwar nur vorübergehend, aber keineswegs gering. Vom Namen "Carolus" leitet sich das tschechische Wort für König "král" ab, das auch noch in andere slawische Sprachen und in die ungarische Sprache übernommen wurde. Das fränkische Reich fiel nach dem Tode Karls auseinander. Dies ermöglichte die Entstehung des ersten slawischen Staates auf unserem Gebiet - des Großmährischen Reiches. An seiner Spitze stand eine einheimische Dynastie, der es gelang, eine relativ unabhängige Außen- und Kirchenpolitik zu entwickeln. Neben den bisher schon von Regensburg aus entsandten lateinischen Missionaren wirkten in Großmähren nun auch slawische kirchliche Organisationen unter Leitung des Erzbischofs Methodius. Der Einfluß Großmährens erstreckte sich über weite Teile Mitteleuropas und endete erst 906 mit dem Einfall der Ungarn.

Eine Folge der ungarischen Bedrohung war die Verschiebung des Machtzentrums nach Westen in das besser geschützte von einigen Stammesfürstentümern regierte Böhmen. In der Mitte des Landes und an der Kreuzung der Verkehrswege herrschte das Fürstengeschlecht der Přemysliden. Dank seiner Initiative trat es immer mehr in den Vordergrund, bis es 995 zunächst Böhmen vereinigte und um 1120 durch den Anschluß Mährens die böhmischen Kernländer unter seiner Führung zusammenfaßte. Die deutsch-tschechischen Beziehungen in dieser Zeit lassen sich unter drei Aspekten beschreiben:

Zunächst unter dem staatsrechtlichen und herrschaftlichen Gesichtspunkt: Im Jahr 895 ordneten sich die böhmischen Fürsten kirchlich und politisch dem bayerischen Herzog Arnulf unter. Die volle Integration in die westliche Christenheit ist mit der Person des Fürsten Wenzel (Václav) verbunden. Die tschechischen Fürsten waren zwar dem deutschen König tributpflichtig, politisch jedoch weitgehend selbständig, was unter Wenzels Nachfolgern deutlich sichtbar wurde. Der Grad politischer Selbständigkeit war jedoch einerseits von der Stabilität der Verhältnisse im Reich und anderseits von der Stabilität in der Přemyslidendynastie abhängig. Denn Rivalitäten zwischen verschiedenen Anwärtern auf den tschechischen Fürstenthron waren an der Tagesordnung. Das führte schließlich zur Vergabe eines kaiserlichen Lehens an den Fürsten Vladivoj (1002-1003). Seitdem suchten erfolglose Prätendenten regelmäßig Unterstützung beim Kaiser, der ihr Lehen bestätigen konnte - die Kontrolle über das Land mußten sie sich freilich selbst erkämpfen. Der böhmische Fürst und der deutsche König waren meist Verbündete, doch auch vorübergehende Gegnerschaft war nicht ausgeschlossen. Im 12. Jahrhundert erhielt der böhmische Fürst das bedeutende Reichsamt des Erzmundschenks. Im Zuge eines Konflikts versuchte allerdings Kaiser Friedrich Barbarossa das Land in drei Subjekte aufzuteilen: Böhmen, Mähren und ein Prager Reichsbistum. Diese Krise konnte jedoch überwunden werden. Grundsätzlich kann man sagen, daß der tschechische Fürst zwar ein Vasall des deutschen Königs war, aber der deutsche König in den böhmischen Ländern über keinerlei Rechte verfügte, keine Reichsstädte, kein Eigentum besaß und in der Regel die Wahl des hiesigen Herrschers anerkannte.

In kirchlicher Hinsicht unterstanden die böhmischen Länder bis in die siebziger Jahre des 10. Jahrhunderts der Regensburger Diözese, nach der Einrichtung des Prager Bistums dann der Mainzer Erzdözese. Die Stellung des Bischofs entsprach jedoch eher der eines Hofkaplans des böhmischen Fürsten ohne Einfluß auf die Einziehung des Zehnten. War der erste Bischof Dietmar noch ein Sachse, so kamen später die stärksten Bischofspersönlichkeiten überwiegend aus den Reihen der Přemysliden oder wie der heilige Adalbert aus dem konkurrierenden Fürstengeschlecht der Slavnikiden. Liturgisch hielten die böhmischen Länder am lateinischen Ritus fest. Eine Ausnahme bildet nur das Kloster Sázava, das den slawischen Ritus bewahrte.

Schließlich der demographische Aspekt: Die Ehefrauen der böhmischen Fürsten stammten überwiegend aus den deutschen Reichsgebieten. Die deutliche Mehrheit der Bevölkerung war jedoch slawisch. Deutsche und jüdische Ansiedlungen gab es in den größeren Agglomerationen in Form von privilegierten Kaufmannssiedlungen. Aus den deutschen Gebieten kamen auch die Vorbilder für Bauwesen und Architektur. Eine Kuriosität stellt die Ausweisung der Deutschen aus Böhmen unter Spytihněv I. dar. Sie erfolgte ohne sichtlichen Grund, und ihr Umfang ist nicht mehr zu bestimmen.

In den Jahren 1198 bis 1216 gewann das böhmische Königreich besondere Privilegien, unter anderem die freie Wahl des Herrschers, die Vererbung der Thronfolge in direkter Linie, die Garantie der territorialen Integrität, das erbliche Reichsamt des Erzmundschenks. Die Bedeutung dieser Veränderungen erhellt die Tatsache, daß das benachbarte Bayern die Thronfolge in direkter Linie erst im 17. Jahrhundert erhielt. Kein anderer in sich geschlossener und zentralisierter Teil des Reiches besaß außerdem den Königstitel und so weitgehende Privilegien. Vom Amt des Erzmundschenks wurde später, Mitte des 13. Jahrhunderts die Kurfürstenwürde des böhmischen Königs abgeleitet, der sich damit in das siebenköpfige Wahlgremium des römischen Kaisers einreihte. Allmählich wuchsen auch Ehrgeiz und Einfluß der böhmischen Herrscher, und zwar im direkten Verhältnis zur stetig wachsenden Produktion der Silbergruben in Iglau und Kuttenberg sowie zur labilen Situation in den Nachbarländern. Die Böhmischen Länder erzeugten Anfang des 14. Jahrhunderts den Großteil des europäischen Silbers. Die böhmischen Herrscher Přemysl Otakar II. und sein Sohn Wenzel II. bemühten sich um eine territoriale Expansion, die jedoch mißlang. Im Mittelpunkt ihres Interesses standen zunächst die österreichischen und baltischen Länder, später Polen und Ungarn.

Im 12. Jahrhundert war die innere Kolonisierung des Landes abgeschlossen, in deren Verlauf die ethnisch slawische Bevölkerung das besiedelte Gebiet erheblich ausweitet hatte. Ein großer Teil des Landes war jedoch immer noch ungenutzt, was in den relativ überbevölkerten Gebieten Westeuropas, etwa Sachsen, Bayern, Dänemark, Frankreich und Flamen, nicht ohne Antwort bleiben konnte. Die vom böhmischen Adel angeworbenen neuen Siedler brachten landwirtschaftliche Erfindungen und vor allem neue Rechtsformen mit: das emphyteutische Recht auf dem Land und das deutsche Stadtrecht. Die nationalistische Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts versuchte, den ausländischen Siedlern nachträglich nationale Motive für die Besiedlung des böhmischen Grenzlandes zu unterstellen. Der tatsächliche Grund waren jedoch soziale Probleme in den Herkunftsländern und das Streben nach Verbesserung des individuellen Lebensstandards. In derselben Zeit begann die deutsche Besiedlung auf der Zips, wo die ursprüngliche Bevölkerung beim Tatareneinfall in den vierziger Jahren des 13. Jahrhunderts stark dezimiert worden war.

Der böhmische Königshof wurde zu einem Zentrum der europäischen Ritterkultur und Literatur, was natürlich auch mit seiner Machtstellung zusammenhing. In Böhmen hielten sich berühmte Minnesänger auf, der böhmische König Wenzel II. gehörte selbst zu ihnen. Die Eindeutschung der Namen der Adelsgeschlechter wurde zu einer Modeerscheinung, die aber zugleich das wachsende Selbstbewußtsein gegenüber dem Landesherrn widerspiegelte. Zu einem wichtigen kulturellen und wirtschaftlichen Zentrum wurden die seit dem 12. Jahrhunder gegründerten Klöster verschiedener Ordensgemeinschaften, besonders der Zisterzienser und Prämonstratenser. Das von den letzten Přemysliden begonnene Werk machte sich in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts der böhmische König Johannes von Luxemburg zueigen, der die letzte Přemyslidentochter Eliška geheiratet hatte. Der Einfluß der böhmischen Krone begann sich auch auf die Nachbarländer auszudehnen, also in die schlesischen Fürstentümer, die Ober- und Unterlausitz, die Oberfalz und nach Luxemburg. Johannes' Sohn Karl wurde in den vierziger Jahren des 14. Jahrhunderts Herrscher über das Heilige römische Reich. Als Regierungssitz wählte er Prag, das er systematisch zu einer vollwertigen Kaiserresidenz ausbaute. Der Plan umfaßte die Gründung eines Prager Erzbistums, einer Prager Universität mit internationaler Beteiligung und nicht zuletzt die beträchtliche Vergrößerung Prags durch aufwendige Bauvorhaben. Im Blick auf die Flächenausdehnung wurde Prag zu einer der größten Städte Europas, berühmt für seine Kostbarkeiten wie die Veitskathedrale, die Karlsbrücke, oder das slawische Emmauskloster. Diese umfangreichen Aktivitäten ließen auch andere Landesteile nicht unberührt. Zur Verwahrung der Kronjuwelen sollte die Burg Karlstein dienen, ebenfalls in die Zeit von Karls Regierung fallen die Bauten im oberpfälzischen Lauf und im brandenburgischen Tangermünde. Eine Stütze der kaiserlichen Macht bildete die immer reicher werdende Kirche. Der Einfluß des böhmischen Königs, beziehungsweise der böhmischen Krone breitete sich von Böhmen und Mähren nach Schlesien, in die Ober- und Unterlausitz, nach Görlitz, in die Oberpfalz, nach Brandenburg und Luxemburg aus. Karls Kanzlei hatte beträchtlichen Einfluß auf die Entstehung der oberdeutschen Schriftsprache, und Böhmen wurde zum Ursprungsland literarischer Werke wie "Der Ackermann aus Böhmen". Die Deutschen bildeten einen erheblichen Teil der Bevölkerung der Kronländer, wobei ihr Anteil in den böhmischen und mährischen Städten allmählich zurückging. Das tschechische Stadtbürgertum trat zunehmend hervor, was auch die Unterscheidung zwischen den Böhmen in geografischer Hinsicht und den Tschechen in sprachlicher Hinsicht mit sich brachte. Die wachsende Rivalität zwischen beiden Bevölkerungsgruppen machte sich auch im Ringen um die Erneuerung der Kirche bemerkbar. Karl selbst hatte Reformprediger nach Böhmen geholt. Der erste von ihnen war der Deutsche Konrad Waldhauser, der die Nachfolge von Jan Milíč aus Kremsier antrat. Ein wichtiges gemeinsames tschechisch-deutsches Vorhaben war 1391 die Gründung der Betlehemskapelle im Rahmen der Prager Universität durch den Tschechen Kříž und den Deutschen Hanuš von Mühlheim.

Der Ausgang des 14. und der Beginn des 15. Jahrhunderts sind gekennzeichnet durch die Abnahme der Macht und gesellschaftlichen Bedeutung des böhmischen Königs. Karls Sohn Wenzel IV. blieb innen- und außenpolitisch erfolglos. Mehrfach wurde er gefangengesetzt und sogar im Jahr 1400 "wegen Unfähigkeit" vom römischen Thron abgesetzt. Die Gesellschaft tritt in eine wirtschaftliche und soziale Krise ein. In den die Bevölkerung dezimierenden Pestepidemien und in der Spaltung der Kirche mit zwei, dann sogar drei Päpsten sieht man Gottes Strafgericht über eine reiche Kirche, die ihrem Auftrag untreu geworden war. Die Gedanken des englischen Reformators Johann Wycliffe begannen sich auszubreiten. Allmählich schloß sich ihnen auch der Prediger der Betlehemskapelle und Rektor der Prager Universität Johannes Hus an. Ablehnend stand den Reformforderungen dagegen ein großer Teil der deutschen Professoren gegenüber, die in den Universitätsgremien eine Stimmenmehrheit von 3:1 besaßen. Als Wenzel IV. mit dem Kuttenberger Dekret 1409 das Stimmenverhältnis zu ihren Ungunsten in 1:3 umkehrte, wechselte ein Großteil von ihnen nach Heidelberg und Leipzig. Einige blieben jedoch oder kehrten später zurück: der spätere Rektor Johannes Schindel, Nikolaus und Peter von Dresden, Johannes Drandorf und Peter Turnow. Auch beim Konflikt um die Universität war die nationale Frage nicht entscheidend, den Ausschlag gaben vielmehr die kirchlichen Reformbemühungen.

Magister Jan Hus wurde im Jahr 1415 durch das Konstanzer Konzil verurteilt und anschließend auf dem Scheiterhaufen verbrannt, ein Jahr später folgte ihm Jeronym von Prag. Was das Konzil zunächst für eine Nebensache gehalten hatte, wuchs zu einer sichtbaren Auflehung gegen die kirchlichen Autoritäten an, als man in Prag die Abendmahlsfeier unter beiderlei Gestalt (sub utraque) einführte. Aufgrund der Einführung des Laienkelchs wurden die Hussiten in der Folgezeit meist als Kelcher oder Utraquisten bezeichnet. Als einige Jahre später die hussitische Revolution zum offenen Ausbruch kam, fanden sich in den Reihen der Hussiten auch zahlreiche Deutsche, zum Beispiel der Prager Erzbischof Konrad von Vechta. In den deutschen Städten endeten die Hussiten jedoch meist auf dem Scheiterhaufen. Die hussitische Bewegung war also keinesfalls ursprünglich gegen die Deutschen gerichtet, die gegenseitige Feindschaft war erst eine Folge der antihussitischen Kreuzzüge, die aus den deutschen Reichsgebieten nach Böhmen entsandt wurden. Auf der deutschen Seite weckten vor allem die bewaffneten Feldzüge der Hussiten - die "herrlichen Fahrten" zur Verbreitung des Laienkelchs - Unwillen, denn diese waren auch mit Plünderungen verbunden. Die hussitische Bewegung konnte sich militärisch behaupten, und in den dreißiger Jahren des 14. Jahrhunderts klärte sie ihre Beziehungen zur päpstlichen Seite in den Basler Kompaktaten. Trotz einiger Versuche, dieses Abkommen wieder rückgängig zu machen, kam es 1485 in Kuttenberg schließlich zu einer Einigung zwischen römischen Katholiken und Utraquisten. So blieben die Utraquisten letztlich mit der römisch-katholischen Kirche verbunden. In den böhmischen Ländern erstarkte jedoch zugleich die selbständige und nicht offiziell anerkannte Brüderunität.

Die Reformation in Deutschland führte zu einer weiteren Aufspaltung der kirchlichen Reformströmungen in Böhmen. Während die Neoutraquisten sich dem Luthertum anschlossen, näherten sich die Altutraquisten wieder dem römischen Katholizismus. Unter der deutschen Bevölkerung der böhmischen Länder breitete sich die lutherische Reformation aus. Besonders lebendig war das Luthertum im Grenzgebiet, namentlich in Brück, Komutau, Budweis und in Joachimsthal, wo Johannes Mathesius lebte, lehrte und predigte. Diese Entwicklung beeinflußte auch die Ausrichtung der Brüderunität, die beide Bevölkerungsgruppen vereinigte, was zum Beispiel in der Herausgabe von Gesangbüchern in beiden Sprachen seinen Ausdruck fand. Während der Brüderbischof Johannes Augusta sich eher den Lutheranern zuneigte, stand sein Nachfolger Johannes Blahoslav der schweizerischen Reformation näher. Die römisch-katholischen Studenten aus Böhmen studierten in Italien, die Reformierten dagegen in Heidelberg und Heilbronn. Die Brüderunität selbst begann mit dem Aufbau hervorragender Schulen. Charakteristisch für diese Zeit ist die Verbesserung der tschechisch-deutschen Beziehungen auf der Grundlage der gemeinsamen Bekenntnisse.

Im Schmalkaldischen Krieg 1547 verbündeten sich die tschechischen mit den deutschen protestantischen Ständen. Ihre Revolte gegen Ferdinand von Habsburg scheiterte zwar, doch das Bündnis blieb auch danach bestehen. Der Augsburger Religionsfriede ermutigte die tschechischen Stände zu weiteren Verhandlungen über Konfessionsfragen. 1575 erteilte König Maximilian I. seine mündliche Zustimmung zur Böhmische Konfession, um die Krönung seines Sohns Rudolf zum böhmischen König zu sichern. Die Böhmische Konfession enthielt hussitische, brüderische und lutherische Artikel, womit die teilweise Legalisierung dieser konfessionellen Richtungen sowohl für die tschechische als auch für die deutsche Bevölkerungsgruppe erreicht wurde. Insgesamt lag der Anteil der Evangelischen an der Bevölkerung bei etwa 90 Prozent, wobei den größten Teil die von Sachsen aus unterstützten Lutheraner und Neoutrakvisten ausmachten. Von nicht geringer Bedeutung ist auch die Tatsache, daß Gelehrte der Brüderunität inzwischen die gesamte Bibel in die tschechische Sprache übersetzt hatten, die zu dieser Zeit eine neue Blüte erlebte.

An der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert starben die bedeutendsten tschechischen Adelsgeschlechter von Pernstein (z Pernštejna), von Rosenberg (z Rožmberka) und die Herren von Neuhaus (z Hradce) aus. Die Macht übernahm eine neue, schon von Jesuiten erzogene Generation. Zugleich gewannen nachrückende deutsche Adelsfamilien und Handwerker unterschiedlicher Konfession in Böhmen an Bedeutung. An die Spitze beider konfessioneller Lager gelangten radikale Kräfte. Anführer der Protestanten waren die Deutschen Leonhard Colonna von Fels und Heinrich Mathias von Thurn sowie der Tscheche Wenzel Budovec von Budov. 1609 erzwangen Sie von Kaiser Rudolf den Erlaß des Majestätsbriefes, der eine so weitgehende Religionsfreiheit gesetzlich verankerte, wie es sie in Europa noch nicht gegeben hatte. In den folgenden Jahren führten wachsende Spannungen zwischen römischen Katholiken und Protestanten dazu, daß das Tschechische zur einzig gültigen Verhandlungssprache erklärt wurde. Ein Landesgesetz, das sich offiziell auf die Unkenntnis der tschechischen Sprache unter den neuen Siedlern bezog, war in Wirklichkeit gegen die deutschen Führer der protestantischen Opposition gerichtet, von denen man kaum zu befürchten hatte, daß sie auf den Landtagen flammende tschechische Reden halten würden.

Konflikte über die Auslegung des Majestätsbriefes und wachsende Spannungen führten schließlich im Mai 1618 zum zweiten Prager Fenstersturz, zum Aufstand der böhmischen Stände und zum Ausbruch des Dreißigjährigen Kriegs. Im Kampf gegen die Habsburger entstand eine Konföderation der Stände von Böhmen, Mähren, der Lausitz, Österreich und Ungarn. Als neuer Landesherr kamen zwei Personen in Frage: der Lutheraner Johann Georg von Sachsen und der Kalvinist Friedrich von der Pfalz, der nicht nur ein Schwiegersohn des englischen Königs Jakob I. war, sondern auch an der Spitze der reichsweiten protestantischen Union stand. Die Wahl fiel auf Friedrich von der Pfalz, denn von ihm und seiner Stellung versprachen sich die revoltierenden Stände am meisten.

Die protestantische Union fiel jedoch auseinander, die Hilfe aus England blieb aus und Johann Georg von Sachsen wahrte mit Aussicht auf den Zugewinn der Ober- und Unterlausitz bewaffnete Neutralität. Zu Hilfe kamen allein die Niederlande. Der Aufstand wurde im November 1620 am Weißen Berg niedergeschlagen. Es folgten Konfiskationen, die Hinrichtung der Rädelsführer des Aufstands beiderlei Nationalität und die Rekatholisierung sämtlicher Einwohner der böhmischen Länder.

In den Jahren 1627 und 1628 wurde die "Verneuerte Landesordnung" in Kraft gesetzt, die den Absolutismus begründete, das römisch-katholische Bekenntnis zur allein zulässigen Religion erklärte und die Gleichberechtigung der tschechischen und der deutschen Sprache bestimmte. Im Interesse der Zentralisierung und Effektivierung der staatlichen Verwaltung wurde die deutsche Sprache meist vorgezogen, so daß diese bald die führende Rolle einnahm und ihr Gebrauch als modern angesehen wurde. Das Tschechische erhielt sich vor allem auf dem Lande und als Grundstock unter den Gebildeten. Die Veränderungen in der Benutzung der Sprache wurden noch vestärkt durch die Emigration von bis zu 30.000 protestantischen Familien und durch den Zuzug von Ausländern - nicht nur Untertanen, sondern auch Adligen. Die tschechischen Emigranten wandten sich vor allem nach Pirna, Dresden, Berlin, Zittau, ferner nach Preußen, Polen, Holland und England. Bedeutende Zentren der tschechischen Emigration entstanden im polnischen Lešno, später in Berlin-Rixdorf und in der Lausitz (Herrnhut). Die deutschen Flüchtlinge aus dem Erzgebirge siedelten sich in einer neuen sächsischen Stadt an, die sie nach ihrem Gönner dem sächsischen Kurfürsten Johann-Georgenstadt benannten. Die herausragende Persönlichkeit der Emigration war der Bischof der Brüderunität, Pädagoge und Philosoph Johann Amos Comenius. Zu den Bischöfen der Brüderunität im Exil gehörten auch sein Enkel Daniel Ernst Jablonski, 1711 Begründer der Berliner Akademie der Wissenschaften, ebenso wie der deutsche Schirmherr der Brüdergemeinde in Herrnhut Graf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf. Die Zahl der Einwohner in Böhmen sank im Zuge des Krieges um ein Drittel, während die Germanisierung voranschritt.

Die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg, bisweilen als "Zeit der Finsternis" bezeichnet, darf nicht nur einseitig wahrgenommen werden. Gewiß wurden zahlreiche tschechische Künstler in die Emigration getrieben - etwa der Maler Karel Škréta, oder der Graphiker Václav Hollar. Trotzdem blieb Böhmen auch weiterhin Wirkungsstätte einheimischer wie internationaler Künstler und Wissenschaftler. Unter den Tschechen wären Adam Michna von Otradovice, Wenzel Lorenz Reiner und Peter Brandl zu nennen, auf deutscher Seite etwa die Familie Dientzenhofer, der Bildhauer Ferdinand Brokoff und der aus der Slowakei stammende Mathias Bernard Braun. Aber auch der aus Italien stammende Schöpfer der Barockgotik Johann Blasius Santini-Aichl oder der spanische Theologe Rodrigo de Arriaga gehören in diese Zeit. Gemeinsames Ausdrucksmittel der genannten Künstler war der Barock, ein neuer Stil, der zu recht mit der Gegenreformation in Verbindung gebracht wird, aber dennoch einen unumstrittenen Rang nicht nur in der tschechischen, sondern in der europäischen Kunstgeschichte einnimmt. Für die Pflege der römisch-katholischen Frömmigkeit und Bildung sorgten neue Orden: Karmeliter, Kapuziner und Piaristen. Die Verfolgung der Evangelischen war zu Beginn sehr hart, im Verlauf des 18. Jahhunderts wurden die Strafen etwas abgemildert. Wesentlich anders war die Situation in Schlesien, wo die Evangelischen den Schutz zunächst des sächsischen Kursfürsten, dann des preußischen Königs genossen, der das Gebiet Mitte des 18. Jahrhunderts seiner Herrschaft einverleibte.

Im Zuge der weiteren Zentralisierung kam es zur Säkularisierung des Schulwesens, zur Aufhebung von Klöstern und zur Auflösung der zentralen Landesbehörden, die erst zusammengelegt und dann nach Wien verlagert wurden. Zugleich setzte sich immer mehr die deutsche Sprache durch, die seit 1764 auch auf dem Boden der Universität das Lateinische ablöste. Im Zusammenhang mit der Säkularisierung einiger Bereiche des öffentlichen Lebens stand auch die Aufhebung der Leibeigenschaft und die Herausgabe des Toleranzpatents 1781. Auf seiner Grundlage wurden das orthodoxe, das lutherische und das reformierte Glaubensbekenntnis geduldet. Das Patent wurde an vielen Orten geheimgehalten. Bei der Information der Bevölkerung und der Gründung der neuen Gemeinden halfen sich die tschechischen und deutschen Nichtkatholiken gegenseitig. Zu den Orten, wo sich die Evangelischen beider Bevölkerungsgruppen zusammenschlossen, gehörte Prag, die deutsche Gemeinde in Čenkovice und die tschechische Gemeinde in Horní Čermná im böhmisch-mährischen Grenzgebiet. In Nord und Nordwestböhmen entstanden keine neue Gemeinden - die dortigen Nichtkatholiken suchten weiterhin die sächsischen und schlesischen Gemeinden jenseits der Grenze auf.

Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts entstand im tschechischen Bildungsbürgertum als Reaktion auf den Germanisierungdruck die Bewegung der "nationalen Wiedergeburt", die im 19. Jahrhundert in die politische Emanzipation der tschechischen Nation einmündete. Eine Begleiterscheinung der nationalen Bewußtwerdung auf beiden Seiten waren jedoch zunehmende Spannungen zwischen Deutschen und Tschechen.

 


Tschechische Literatur

1) Jaroslav Čechura, Zimní král aneb české dobrodružství Fridricha Falckého, Praha 2004, 380 S.

2) Eva Melmuková, Patent zvaný toleranční, Praha 1999, 238 S.

3) Jiří Otter, Úděl česko-německého sousedství v zrcadle dvanácti století, Heršpice 1994, 178 S.

4) Ferdinand Seibt, Německo a Češi. Dějiny jednoho sousedství uprostřed Evropy, aus dem Deutschen übersetzt von Petr Dvořáček, Praha 1996, 464 S.

5) Tisíc let česko-německých vztahů. Data, jména a fakta k politickému, kulturnímu a církevnímu vývoji v českých zemích, Praha 1995, 288 S.