König Karl IV. und die Vertreibung der Juden aus Nürnberg
Im Jahre 1349 war der noch zu Lebzeiten Kaiser Ludwigs des Bayern zum Römischen König erhobene Karl IV. aus der Dynastie der Grafen von Luxemburg und der Könige von Böhmen mit der Sicherung seiner Herrschaft im Deutschen Reich beschäftigt. Er war als Zögling des Avignoner Papsttums 1346 von einer Mehrheit der Kurfürsten zum Gegenkönig ausgerufen worden, um den gebannten "Ketzerkaiser" Ludwig den Bayer zu stürzen.
Eine wichtige Rolle spielte in diesem Zusammenhang die Reichsstadt Nürnberg, die nach dem Tod Ludwigs des Bayern (11. Oktober 1347) zur wittelsbachischen Partei im Reich hielt. Nachdem sich Karl IV. am 25. Juli 1349 in Aachen zum Römischen König hatte krönen lassen, wollte er auf der Rückreise nach Böhmen in der Reichsstadt Nürnberg Quartier nehmen. Wohl schon damals hatte er den Plan, die Stadt zum zentralen Drehpunkt der Achse Luxemburg-Frankfurt-Prag auszubauen. Dazu boten sich ihre zentrale Lage und die weithin zu sehende und gut ausgestattete Kaiserburg an. Die Stadt selbst, die ursprünglich aus zwei getrennt ummauerten Stadtteilen um die beiden Pfarrkirchen St. Sebald und St. Lorenz bestanden hatte, war wenige Jahrzehnte zuvor zu einer Stadt verschmolzen worden. Durch die Verbindung der beiden Stadthälften über die Pegnitz hinweg rückte die in der sumpfigen Pegnitzniederung wohl schon vor Jahrhunderten angelegte Judensiedlung mit ihrer Synagoge in eine Mittellage und löste große Begehrlichkeiten aus.
Formal unterstanden die Juden als so genannte königliche Kammerknechte dem König bzw. dem Kaiser. Tatsächlich jedoch konnten diese den Schutz der Juden oft nicht garantieren. Besonders negativ wirkte sich der Geldverleih der Juden, die wegen des Zinsverbots für die Christen fast ausschließlich im Geldhandel tätig waren, auf das Zusammenleben in den Städten aus. Dieses gespannte Verhältnis spitzte sich in den Jahren 1348/49 dramatisch zu, als man die Juden für die damals in Europa grassierende Pest verantwortlich machte. Gerade auch als Geldgeber waren sie in Verruf geraten. So kam es vor allem in den Reichsstädten, wo sich Juden häufig niedergelassen und am städtischen Leben teilgenommen hatten, im Verlauf der Jahre 1348 und 1349 zu brutalen Übergriffen. Viele Ghettos wurden geplündert und ihre Einwohner umgebracht. Dabei konnten sich die Schuldner, die meist den gut situierten Oberschichten der Städte angehörten, ihrer Verbindlichkeiten entledigen.
Offenbar versuchte Karl IV. schon bald, diese höchst problematischen Umstände für sich nutzbar zu machen und die Reichsstädte für sich zu gewinnen, indem nicht nur nicht gegen die Übergriffe einschritt, sondern sie sogar guthieß. Bereits eines der ersten Pogrome Ende November 1348 in Augsburg versuchte Karl IV. zu seinem Vorteil auszunutzen. Der Reichsstadt Frankfurt gewährte er im Voraus den jüdischen Besitz, falls dort die Juden "erschlagen werden" sollten.
Der Reichsstadt Nürnberg, in der eine der größten jüdischen Gemeinden Europas lebte, erlaubte Karl IV. mit einer Urkunde vom 16. November 1349, die Judenhäuser abzureißen und den freiwerdenden Platz als zentralen Marktplatz zu nutzen. Ausdrücklich stellte er die Stadt straffrei, auch wenn dabei Juden zu Schaden kommen sollten. Nur die Synagoge sollte zu einer Kirche zu Ehren der Jungfrau Maria umgestaltet werden. So fiel dann am 5. Dezember 1349, lange nachdem die Pestepidemie abgeklungen war, der Mob der Stadt Nürnberg über die Judengemeinde her, wobei 562 jüdische Mitbewohner den Tod fanden. Die Häuser wurden bis auf wenige Ausnahmen dem Erdboden gleichgemacht und die beiden heute noch bestehenden Marktplätze Hauptmarkt und Obstmarkt angelegt. Auch der jüdische Friedhof wurde zerstört. Nur wenige Steine sind erhalten geblieben. Die Forderungen der Geldverleiher sollten an die Stadt fallen. Die strittig gebliebenen Ansprüche auf die jüdischen Schuldbriefe wurden später von einem Schiedsgericht geregelt. Die auf Holzpfählen verlegten Fundamente des jüdischen Ghettos dürften unter dem Pflaster des Hauptmarkts und des Obstmarkts noch weitgehend erhalten sein. Die zur Frauenkirche umgebaute Synagoge ließ Karl IV. 1355 dem so genannten Chorus minor am Veitsdom in Prag unterstellen und zu einem Zentrum der Verbindung Nürnbergs mit den Luxemburgern und mit Böhmen ausbauen. Dies kommt heute noch an dem von Adam Kraft geschaffenen an die von Karl IV. in Nürnberg 1356 erlassene Goldene Bulle erinnernden "Männleinlaufen" auf dem Westchor der Frauenkirche und an der Statue des heiligen Wenzels im Innern der Kirche bildhaft zum Ausdruck. In den 70er und 80er Jahren des 14. Jahrhunderts wurde auf dem Hauptmarkt der Schöne Brunnen errichtet. In den als gotischer Turmhelm gestalteten Aufsatz wurden zuoberst die Figuren der jüdischen Propheten eingestellt. Noch heute blickt Moses mit den Tafeln der Zehn Gebote, über die man sich leichtfertig hinweggesetzt hatte, visionär versunken hinüber zur ehemaligen Synagoge. Nur wenige Meter vom Schönen Brunnen entfernt ist um 1370 als Bauplastik an einem Pfeiler der Sebalduskirche eine so genannte Judensau angebracht worden, die die Juden auf niederträchtige Weise verächtlich macht und als Ausdruck des damaligen Judenhasses gelten kann.
Nürnberg gehörte unter dem 1378 verstorbenen Karl IV. zu den wichtigsten Städten des Reichs. Neben Prag war sie auch Residenzstadt des Kaisers. Viele Privilegien und Vergünstigungen hat sie ihm zu verdanken. In Nürnberg ließ der Kaiser im Jahr 1356 die Goldene Bulle, das eigentliche bis zum Ende des Alten Reiches geltende Grundgesetz ausarbeiten. Sie sicherte der Stadt zu, dass der erste Reichstag eines neu erhobenen Königs in ihren Mauern stattzufinden habe.
Das Verbrechen an den Juden scheint man ganz verdrängt zu haben. Offensichtlich hielten sich die Nürnberger für unschuldig und schrieben die Verantwortung allein Kaiser Karl IV. zu. Der um 1600 schreibende offizielle Chronist der Stadt, Johannes Müllner, vermerkte jedenfalls ausdrücklich zur Vertreibung der Juden im Jahr 1349, dass die Nürnberger lediglich den Befehl Karls IV. ausgeführt hätten.
Kaiser Karl IV. hätte durchaus die Macht gehabt, die Ausschreitungen gegen die Juden zu verhindern. In Böhmen, besonders in Prag, konnten sich 1348/49 die Juden behaupten. Prag wurde sogar zu einem wichtigen jüdischen Zentrum in Europa. Das damalige Kennzeichen der Prager Juden, der heute als Davidstern bekannte aus zwei gleichseitigen Dreiecken zusammengefügte sechszackige Stern, wurde zum Kennzeichen des Judentums überhaupt. In Nürnberg dagegen verstand man es nicht, aus dem Vorfall am Niklausabend 1349 die richtigen Schlüsse zu ziehen. Die jüdischen Familien, die sich wenige Jahrzehnte später beim Laufer Schlagtor niederließen und dort ein kleines Judenghetto um die heutige Judengasse errichteten, wurden 1499/1500 erneut vertrieben. Damals hatte man sich an Kaiser Maximilian gewandt, der mit einer ganz ähnlichen Begründung wie Karl IV. dem Rat der Stadt die Vertreibung erlaubte.